Sharon

vom 20.07.2025

 

„Professor Horton, bitte melden sie sich bei der Administration im Hauptkomplex. Professor Horton, melden sie sich bei der Administration!“

Der Lautsprecher oberhalb der Hörsaaltür verstummt. Ein technisches Knacksen erwähnt beiläufig, dass die Übertragung aus dem Sekretariat beendet ist. Horton schaut in den mit Studierenden voll besetzten Hörsaal. Er lächelt leicht, schaut erneut auf den schwarzen Lautsprecher und fragt: „Mit eurer Erlaubnis, werte Fernsprechanlage, fahre ich nun hier fort. Denn obwohl uns unsere Vergangenheit prägt, sind es die Entscheidungen von heute für eine ungewisse Zukunft. Und ich entscheide, dass wir diesen hier“, und deutet auf den vollen Hörsaal, „zunächst das Studium ermöglichen.“ Und als hätte man ihn gehört: „Professor Horton, Nachtrag – es reicht um 15 Uhr. Danke. Ende der Durchsage.“ Horton schaut seine Studierenden an und sein Gesicht deutet eine komödiantische Mischung aus 'sag ich doch' und 'geht doch' an. Seine Zuschauer lachen.

Horton schnippt mit dem Finger. Der Hörsaal verstummt augenblicklich. Seine Arme verschränkt er hinter seinem Rücken. Langsam schreitet er an der vordersten Reihe entlang. Er ist sichtlich in Gedanken. Sein Blick streift über die aktiven Tablets, bis er das Ende von Reihe 1 erreicht. Ruckartig, aber doch elegant, dreht er sich um und schaut einer jungen Studentin in die Augen. „Ja, lassen Sie uns verrückt sein!“, spricht er mit gedämpfter Stimme zu ihr.

„Miller“, schießt es plötzlich laut aus ihm heraus, „in einem kardoxialischen Umfeld ist die Energieequivalenz F unter Einfluss einer arthe'egischen Frequenzmatrix … was?!“ Miller, in Reihe 5 sitzend, wirkt überrumpelt, unsicher und scheinbar ertappt. Er tippt mehrmals unkontrolliert mit seinem Marker auf sein Tablet.

„Ehm ...“

„Nein, Masse M benötigen wir hier ausnahmsweise nicht. Einen Versuch noch!“ Horton zeigt ohne Blickontakt mit dem Finger auf Miller, der aber am liebsten auf seinem Sitzplatz versinken würde.

„...“

„Quantenessenz. Seite 483 und folgende.“ Er schaut Miller an. „Sie sind morgen mein Star-Gast hier im Hörsaal. Seien Sie lieber vorbereitet, sonst winkt Laborarbeit am Wochenende. Im Keller. Bei den Versuchsmäusen mit eitrig gezüchtetem Hautödem.“ Teile im Hörsaal ekeln sich hörbar. „Was?!“, fragt Horton rhetorisch. „Werden sie nicht gern gestreichelt?“ Horton grinst breit durch die ersten Reihen des Hörsaals, während die globale Antwort im Raum eher „iiih“ ist. „Ihre Antwort, Miller, ist demzufolge …?“

„Ja, Professor“, äußert der Student resigniert, während schadenfrohes Gelächter im Hintergrund hörbar ist.

„Gut, gleiche Frage – neuer Spieler. Oder lieber eine Spielerin? Gwen, begeistern Sie mich!“

„Nach Oakmans Ableitung ist F außerhalb der Reichweite“, ertönt es leise aus Gwen, die verlegen eine dunkle Strähne aus ihrem Gesicht hinter das Ohr streift. Ihre Hände werden dabei zu großen Teilen von den langen Ärmeln ihres schwarzen Pullovers verdeckt.

„Gwen, ein spontaner Anfall von Genialität? Sie haben doch nicht etwa tatsächlich dieses Buch durchgeblättert oder sogar eine Seite davon gelesen?“ Der Hörsaal lacht. Erneut schnippt Horton mit dem Finger. Schweigen. „Gwen?“

„Doch. Ihr Name stand sogar oben auf dem Cover.“, erwidert sie. Erneut Gelächter im Hörsaal.

„Hey, kommt Leute … bleibt bei der Sache!“, fordert Horton seine Studierenden auf. „Wenn es also außerhalb der Reichweite ist, warum beschäftigen wir uns damit – wollen wir Oakman etwa überlisten, korrigieren oder eines Besseren belehren? Miller … betrachten Sie es als meinen Versuch der Gnade!“

Miller schüttelt den Kopf und ein Kommilitone gibt ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.

„Dacht' ich mir schon – vielen Dank für den Einsatz. Freiwillige?“ Er blickt sich um. Niemand erwidert seinen Blick. „Park, Ihr Auftritt!“

„Es ist der letzte Schlüssel, welcher der Menschheit fehlt. Die Menschheit forscht seit Dekaden an einer physischen Lösung und Sie selbst, Herr Professor, haben hierzu eine eigene Forschungseinrichtung unterhalb der Universität.“

Horton hält inne. „Nicht schlecht, aber Schlüssel wofür?“

Park räuspert sich und schaut seine Sitznachbarn an. „Naja, theoretisch träumen alle Forscher mindestens von einer neuen Art der Portabilität. Durch ein subliminales Energieband über zwei Kontrast-Verstärker ließen sich Dinge, Menschen usw. beliebig von A nach B bringen. Und wieder zurück. Voraussetzung ist – so die Theorie – ein mehrdimensionales Relais aus Frequenzmustern, die – wenn korrekt überlappt – Orte miteinander verbinden können, wenn Schwingung und Bündelung in koexistentiellem Einklang sind. Andere Anwendungszwecke sind bislang utopisch, aber denkbar.“

Horton nickt. Dann schaut er Park an. „Und warum widerspricht Oakman?“

„Seinen Hochrechnungen zur Folge ist es Aleph-Null. Er nannte es die Unendlichkeitszahl, da Vor- wie Nachkommastellen an das Verhalten von Pi heranreichen. Die interpolierten Kausalitäten ließen sich als Zahl nicht aussprechen – er fabulierte von einem Modell mit geschätzten 10 hoch 48 Trilliarden Segmentierungsbereichen. Es wird noch viele Jahrhunderte dauern, bis wir Prozessorleistungen haben, die hier umfassend agieren können.“

Horton wirkt sichtlich zufrieden. Er deutet mit geöffneter Handfläche auf Park. „Sehen Sie, meine Damen und Herren? Das ist der Gedanke rund um Entscheidungen, um einer ungewissen Zukunft entgegen zu wirken. Park, melden Sie sich gleich bei meiner Assistentin. Sie praktizieren mit mir am Abend in Ebene C. Seien Sie fit und geistig belastbar! Beweisen Sie, dass Sie so clever sind wie Sie gerade tun!“ Park schaut auf sein Tablet vor ihm, um vor Stolz nicht zu platzen. „Oh, und Sie dürfen gern frischen Kaffee mitbringen. Also: viiiel Kaffee.“, ergänzt Horton mit erhobenem Zeigefinger.

„Tauch' da bloß nicht ohne auf, der Mann ist skrupellos!“ ruft jemand anonym im Hörsaal. Abermals wird gelacht. Horton grinst. „Ah, ein ehemaliger Praktikant, aber Achtung, Leute! Morgen besprechen wir die Kulebal'sche Abringung bei Frequenz verzerrenden Parallelanomalien. Führen Sie Schutzbrillen der Kategorie 4 mit. Wir simulieren morgen Ihren ersten Quantenring. Und jetzt raus mit Ihnen. Für heute ist Schluss.“

Der Hörsaal steht auf, die Sitze klappen hoch. Unruhe. Man redet, lacht, blödelt herum. Horton verfolgt hinter seinem Tisch stehend, wie sich die Räumlichkeit von jungen Menschen leert. Als die Türen automatisch einrasten, setzt er sich auf den Stuhl vor ihm. Er legt beide Hände auf den Tisch. Ausgestreckt – und sie zittern. Als er langsam und kontrolliert ein- und ausatmet, schließt er seine Augen.

„Ephiron.“, flüstert er. „Ensull ak riem. Berem sik tu ong.“ Er lächelt. „Phoro bit parae gna ting dor.“

Er öffnet seine Augen und erfasst die leere Stelle auf dem Tisch. Seine rechte Hand ist … fort. Sauber am Handgelenk abgetrennt. Kein Blut. Kein Schmerz. Und dennoch fehlt eine seiner Extremitäten. Da, ein Flackern, das für Bruchteile die Hand wieder sichtbar werden lässt. Eine Verzerrung oder gar Bildstörung – es ist unklar. Die Hand verschwindet und taucht wieder auf. Ein stotterndes, unregelmäßiges Bild – unscharf bis farblos. Horton verfolgt dieses Schauspiel auf seinem Schreibtisch. Nach wenigen Sekunden hört es auf und seine Hand ist wieder an ihren korrekten Platz zurückgekehrt. Beide Hände ballen ihre Faust, dann spreizt er seine Finger jeweils weit ab und verharrt in dieser Position. Nach wenigen Momenten schüttelt er seine Hände aus. Daumen berührt Zeigefinger. Berührt Mittelfinger. Ringfinger. Kleinen Finger. Und wieder zurück. Nochmals. Die Motorik ist normal. „Wir werden sehen“, spricht er gedankenverloren.

Der Zeiger einer alten Standuhr erreicht unaufgeregt die Zwölf. Punkt 15 Uhr. „Ah, da sind Sie ja – kommen Sie herein“, begrüßt ihn ein gedrungener, kleinerer Mann, welcher hinter seinem imposanten Schreibtisch hervor eilt und ihm erfreut die Hand reicht. Seine Hände sind leicht verschwitzt. Ein prahlerischer Goldring benötigt beim Handschlag Platz. Natürlich. In der Folge rückt er ihn zurecht, als wäre er gerade nicht gebührend bestaunt worden. „Bitte, Professor Horton, nehmen Sie doch Platz!“ Der Mann gestikuliert auf die teure Sitzlandschaft englischer Möbeldesigner im vorderen Büroteil. Horton ist innerlich überrascht. Denn zugegeben, dieser Bereich hat Stil und Klasse: geschwungene Armlehnen, niedrige Rückenlehne, tiefe Knopfheftung und der traditionell dunkle Lederbezug. Er setzt sich auf eines der beiden großen Sofas, die sich, getrennt von einem kalt wirkenden Glastisch, gegenüberstehen. Die Blumen darauf sind frisch – tiefrote, langstielige Rosen in einer Kristallvase.

Mit Blick auf den Boden und der Erkenntnis, dass er hier in seinem legeren Outfit gar nicht Platz nehmen sollte, fällt ihm der dunkelgraue Teppich auf. Hat hier jemals ein Gast gesessen? Nagelneu. Beim letzten Aufeinandertreffen saßen sie sich am großen Schreibtisch gegenüber. Es gab Scotch. Und in der Folge entbrannte ein unendlicher Streit über das einzusetzende Budget innerhalb der Universität. Das ist bestimmt schon zwei Jahre her. Für gewöhnlich geht man sich seither aus dem Weg.

„Etwas zu trinken – Scotch, Drape oder ein Glas Primitivo?“

Horton schaut auf die Standuhr. Es ist viel zu früh für Alkohol. Höflich, aber ehrlich: „Nein, vielen Dank, Dekan Willox.“

Paul Willox. Wie er diesen Mann verachtet. Der gedrungene, fette Möchtegern in seinem stets gleichen Auftreten. Tag für Tag. Grauer Anzug, schwarzes Hemd, schwarze Krawatte und zugehöriges Seidentuch, schwarze Schuhe. Poliert, als wolle er seinen Assistentinnen ständig unter die Röcke schauen, wenn er denn dicht genug herankäme. Sein Gesicht ist immer glattrasiert. Seine Haare gleichen hingegen einer strategischen Operation: schwindendes Deckhaar wird durch einen sorgfältig gepflegten Vorhang mit längeren Seitenhaaren kaschiert, die in einem dunklen Braun-Rot glänzen und verzweifelt versuchen, die Illusion volleren Haares zu erzeugen. Die jüngeren Kollegen der Fakultät spotten immer darüber, ob es Pomade oder Haarspray wäre, um dieses Drüberkämmen zu halten. Oder ob es überhaupt seine echte Haarfarbe sei, will er doch ständig der jüngeren Belegschaft mit seiner trendigen Frisur imponieren.

... Ende der Leseprobe.

Schicksal. Vorsehung. Prophezeihung. Eine direkte Bedrohung löst eine Kette von Ereignissen aus: Professor Horton versteckt eine Antwort auf eine Frage, die Menschen seit über 2000 Jahren stellen: Wo ist er?

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ISBN: 9783819428357

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