Battle Beasts – Rise of the Animals
Blitze zucken am Horizont und zeichnen für wenige Bruchteile einer Sekunde bizarre, abstrakte Silhouetten. Ein Gewitter größeren Ausmaßes braut sich in der Ferne vor Los Angeles (USA) zusammen. Dunkle Wolken besiedeln bereits eindrucksvoll den dortigen Nachthimmel. Wind spürt man keinen, doch die Wolken kommen offenbar näher. Über der Sternwarte KYS-56b ist noch klarer Himmel zu sehen. Die Sterne lächeln in ihrer gewohnten Ruhe und funkeln in ihrer eigenen Magie und Unschuldigkeit. „Ja, ihr habt die Ruhe weg“, murmelt Dr. Arkin und atmet den letzten Zug seiner Zigarette gen Himmel aus.
Oben auf der Besucherplattform hat man einfach den besten Ausblick. Zumindest tagsüber. Sobald Touristen und Schaulustige, Schulklassen und die Hobby-Astrologen fort sind, eignet sich diese Plattform hervorragend für eine kleine, ungesunde Auszeit. Es ist gegen 23 Uhr.
„Ist alles okay, Doc?“, ruft jemand ein Stück unterhalb der Plattform. Eine Taschenlampe flammt auf. Ein gleißend heller Lichtkegel zerschneidet das dunkle Gewand der Nacht.
„Alles gut, Charlie – es ist nur eine Zigarette. Du kennst es doch ...“, antwortet Arkin und kneift dabei die Augen ein Stück zusammen und schützt seine Augen mit vorgehaltener Hand. Die Taschenlampe erlischt.
„Ich sag's ihnen, Doc, sie müssen sich von diesem Mist endlich frei machen. Reden sie mal mit meiner Schwester – diese Hypnose-Sache hilft ihnen bestimmt auch. Das Rauchen in ihrem Alter kann doch nicht mehr gut sein.“
„Das war es noch nie. Aber ich merk's mir, Charlie – bis später.“ Einen Arm in die Luft zur Verabschiedung gestreckt, setzt Charlie seine spät abendliche Patrouille fort und pfeift sein typisches, wohl eigenes Lied.
Ein Blick in den Himmel. Wie wunderschön es doch ist. Wie ruhig dieser Anblick doch ist. Ein letzter Schluck aus dem Kaffeebecher. Er ist kalt. Und schmeckt noch schlimmer als sonst schon. Arkin verzieht das Gesicht und liest abermals den Werbe-Aufdruck: Endliche Unendlichkeit! Was für einen Blödsinn sich das Marketing da wieder hat einfallen lassen. Er schüttelt – wie schon so oft bei diesem Slogan – den Kopf und kippt den letzten Rest in die Tiefe. Zeit, um an die Arbeit zurückzukehren. Erneut hört man das aufziehende Gewitter in der Ferne. Für einen Moment hält Arkin abermals inne und schaut in Richtung des Unwetters.
Arkin verlässt seine Aussichtsposition und öffnet mit seiner Schlüsselkarte die nahe gelegene Sicherheitstür, deren magnetisches Schloss hörbar entriegelt und damit Zutritt gewährt. Die Tür ist schwer und lässt sich nur mit Kraft aufziehen. Arkin benötigt beide Hände. Gekonnt klemmt er den leeren Becher unter den Arm und zieht diesen schweren Gegner einen Spalt weit auf – und huscht elegant durch selbigen. Mit Wucht fällt die Tür nach Passieren hinter ihm zurück ins Schloss und verriegelt.
Der Innenraum ist kühl. Ein Bewegungsmelder aktiviert das Oberlicht und vereinzelt schalten sich die Beleuchtungen ein. Das Licht ist mit seiner Kelvin-Einstellung auf einem sehr angenehmen Spektrum für das menschliche Auge optimiert. Die hochmoderne Computeranlage, welche sich wie Hochhäuser im hinteren Teil des großen Büros unter die Decke strecken und hörbar starten, beginnen mit ihrem ganz eigenen Tanz ihrer LEDs, die nach wenigen Momenten von rot auf grün umstellen und damit Einsatzbereitschaft signalisieren.
Auf Arkins Arbeitsplatz liegt eine Mappe. Diese ist versiegelt und trägt die Aufschrift „classified“ (geheim). Dass die Jungs und Mädels in der Verwaltung aber auch immer so ein Drama um die neuen Koordinaten für die Sternwarte machen müssen. Wie an jedem Abend sind es einfach nur Koordinaten, unter denen am Nachthimmel „gelauscht“ werden soll. Und noch ist Zeit dafür – das Gewitter stört vorerst nicht.
Arkin setzt sich in seinen Drehstuhl und öffnet mit dem Mauszeiger einen Dialog auf dem vor ihm stehenden Monitor. In eine einfache Eingabemaske tippt er die neuen Koordinaten ein. Wie eigentlich jeden Abend: eine Horizontale, eine Vertikale und einen Winkel. Dann dauert es ein paar Sekunden und ein auf dem Tisch stehendes, halb volles Wasserglas beginnt symmetrische Muster abzubilden. Die Tischplatte vibriert: Das Teleskop bewegt sich schwerfällig und richtet sich entsprechend den neuen Vorgaben aus. Heute ist der Abstand zur bisherigen Koordinate größer – es dröhnt also durchaus länger durch die Nacht.
Und während Arkin den Sitz seiner Kopfhörer korrigiert, sprengt unerwartet eine akustische Spitze das VU-Meter. Beide analogen Zeiger schlagen maximal aus. Die Kopfhörer schreien – mit maximaler Lautstärke. Der Doc schreckt auf und reißt sich die Kopfhörer vom Kopf. Sie fallen zu Boden. „Verdammte Idioten“, flucht er in seinem Drehstuhl, „wie oft habe ich schon gesagt, die sollen ihre scheiß Einstellungen ...“ – doch er zögert. Ein beherzter Schlag auf einen großen, roten Knopf unweit seines Platzes stoppt die Rotation des Teleskops abrupt – es ist ein Not-Stopp. Sein Gesicht wirkt nachdenklich, als er auf den Monitor schaut. „Diese Koordinaten sind leer. Da ist nichts. Gar nichts. Was zum …?“ Überlegt öffnet er die Protokoll-Datei der Übertragung und sieht es klar und deutlich: Da ist diese Spitze. Die Koordinaten stehen präzise daneben. Es ist das erste Mal, dass ein Geräusch so deutlich aus diesem Planquadrat zu hören ist. „Gut, dann schauen wir mal, was wir da haben – wehe, das ist wieder ein Satellit aus Langley“. Zwei Mausklicks später hat das Teleskop diese Koordinaten aus dem Protokoll als neues Ziel akzeptiert. Abermals dauert es einen Moment. Das Teleskop windet sich an die neue Stelle. Doch dann bleibt es stehen – ausgerichtet und auf den Punkt genau. Arkin flüstert: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“
Er steht von seinem Stuhl auf und klettert die wenige Meter kurze Leiter nach oben, die einen visuellen Blick in die Tiefe des Alls über ein fortschrittliches Okularsystem der NASA ermöglicht. „Wenn das wieder so ein blöder Witz sein soll ...“, hebt seine Brille an und drückt sein Gesicht auf den schwarzen, gummierten Rand der Computer gestützten Visierung. Wenige Sekunden verstreichen. Es braucht einen Moment, bis sich seine Augen an das übertragene Bild gewöhnt haben. Diese Umrisse … das Leuchten … die Struktur ... immer deutlicher wird es erkennbar. Unmittelbares Entsetzen. Er lässt vom Okularauszug ab. Reibt seine Augen. Er ist kreidebleich. „Nein, das kann nicht sein …“. Abermals schaut er hinein. Seine Hände pressen sich an das Gerät. Gewissheit. „Oh Gott, es ist … zu früh!“
Er wankt zurück. Ungläubig. Schnell die Leiter hinab. Hastig sucht er an seinem Schlüsselbund einen speziellen, kleinen Schlüssel. Dieser öffnet eine längst vergessene Schublade an seinem Arbeitsplatz. Jede Menge unnützes Zeug, welches offenbar im Weg liegt. Hastig durchwühlt er diese eine Schublade und findet endlich die kleine Holzschatulle – ziemlich versteckt am oberen Ende. Er hält inne, während er die verzierte Holzschnitzerei in Händen hält. Er klappt sie vorsichtig auf. Ein grünes Licht pulsiert schwach, aber doch stärker werdend. Es reflektiert sich in seinen Augen. Sich seiner bewusst, klappt er die Schatulle nach wenigen Momenten entschlossen zu. „Ich brauche die Unterlagen. Die Aufzeichnungen.“ Aufgeregt öffnet er den Safe, welcher in einem anderen Arbeitsplatz auf der gegenüber liegenden Raumseite versteckt ist. Die achtstellige Kombination wurde noch nie benutzt. Sie ist richtig – der Safe öffnet sich. Darin befindet sich nur ein Flyer. Eine Touristen-Karte. Von Los Angeles. Sie hat einen Punkt mit dickem Rotstift markiert …
Arkin eilt aus dem Komplex. An der Haupttür steht Charlie, welcher seine Runde beendet hat. „Hey Doc, was ist los – spontaner Kontakt mit Aliens?“ Charlie und seine Arbeitskollegen lachen. Doch Arkin rennt in die Nacht in Richtung Parkplatz. Er ist aufgeregt und kann seine Schlüssel kaum dazu bewegen, das Auto aufzuschließen. Der Motor heult auf, die Scheinwerfer erhellen die Straße vor ihm und das Gaspedal wird durchgetreten, die Reifen quietschen auf dem geteerten Parkplatz. „Ich muss ihn finden … ich muss ihn unbedingt finden.“
Gewitter. Blitze. Strömender Regen setzt ein. Die Scheibenwischer laufen auf Hochtouren. Was für ein Unwetter. Arkin tritt mehrmals das Gaspedal vollständig durch, damit das Auto schneller fährt – vergeblich. „Komm schon, du verdammte Mistkarre“ schreit er sein Auto an. Er rast durch die Nacht. Immer wieder schaut er auf den Beifahrersitz, auf diese kleine Schatulle mit ihrem grünen, stärker werdenden Glühen. Abgelenkt. Zu sehr. Eine Kurve bringt ihn ins Schleudern. Gerade noch kann er das Ausbrechen des Fahrzeugs verhindern. „Komm schooon“ ruft er sich selbst im Innenspiegel zu.
Rot-blaues Licht aktiviert sich im Innenspiegel und erhellt den Innenraum seines Fahrzeugs. Unmittelbar nach dem Passieren einer Tankstelle mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Ein Streifenwagen der Polizei nimmt die Verfolgung auf. Der Streifenwagen schaltet die Sirene ein. Arkin sieht seinen Verfolger, doch wird er nicht langsamer. Er kann nicht.
Der Fahrer im Verfolgerauto setzt eine Meldung ab: „Zentrale, hier Romeo 12. Habe Verfolgung eines silbernen Fords aufgenommen. Kennzeichen: Kalifornien. YZX 766. Freeway 2. Fahrtrichtung Süd. Erbitte Unterstützung!“ Sekunden verstreichen. Es knackt im Funk. „Hier Zentrale. Zwei Einheiten in der Nähe. Sind in drei Minuten vor Ort.“
Beide Autos rasen über Freeway 2. Ihr Licht erhellt die Straße. Rot. Blau. Rot. Blau. Der Klang der Sirene schneidet durch die Nachtruhe. Und die Polizei holt auf. Meter um Meter. „Lass uns spielen“, denkt sich der junge Polizist und konzentriert sich auf sein bevorstehendes Manöver: Das Treffen des Hinterrades mit seiner eigenen Vorderachse. Nur noch wenige Sekunden. Geschickt Lenken und die Wucht lässt diesen Verkehrschaoten direkt in die Bande fliegen. Fast da. Jetzt. Die Autos krachen zusammen und beide Insassen werden durchgeschüttelt. Arkin kann den Wagen aber in der Spur halten und gewinnt wieder zwei, drei Meter. Abermals holt der Verfolger auf – und abermals wird das linke Hinterrad anvisiert.
Vollbremsung. Das rot-blaue Licht zieht binnen eines Sekundenbruchteils an Arkin vorbei – die Sirene klingt jetzt anders. Auch der Verfolger tritt mit voller Wucht auf die Bremse, doch die nasse Fahrbahn gewährt ihm keine Reifenhaftung. Es ist zu spät – die Polizei rauscht vorbei. „Mist, verdammte Scheiße ...“, flucht der Verfolger. „Zentrale, Zentrale. Ich hab' ihn verloren. Er fährt weiter auf der 134, Richtung Westen.“ „Zentrale hat verstanden.“
Abgehängt. Ausfahrt gerade noch erwischt. Arkin atmet durch. Das war knapp. Und keine Streifenwagen zu sehen. Keine Verfolger. „Ich muss ihn unbedingt finden“, murmelt er. „Bitte sei da!“ Vollgas. Bei unerbittlichem Wetter.
Die Minuten verstreichen. Regentropfen zerplatzen auf der Windschutzscheibe. Abermals schaut Arkin auf die Schatulle auf dem Beifahrersitz. Seine rechte Hand greift danach – und umklammert diese mit festem Griff. Verzweifelt hämmert er sich mit ihr gegen den Kopf. Verdammt. Hier raus. Golden State Freeway – Fahrtrichtung Süd. Fast da: Los Angeles Zoo.
Der Regen prasselt unaufhörlich auf das kleine Häuschen des Sicherheitspersonals.
„Hast du das Spiel gestern gesehen? Du schuldest mir 20 Dollar.“ Carl grinst breit über sein farbiges, faltiges Gesicht als er die Hand seinem Kollegen offen entgegen streckt, der gerade mit tropfender Regenkleidung das Büro betritt.
„Du verrückter, alter Mann. Niemand, den ich kenne, hat so einen Tipp abgegeben. Irgendwann musst du mir das Geheimnis verraten.“ Tony lacht und schüttelt seinem Kollegen die Hand. „Hier, ich hab uns was mitgebracht“ und zieht einen Sechserträger Dosenbier unter seinem Regenmantel hervor.
„Ah, guter Junge, aber das bringt dich nicht um die zwanzig Mücken. Der Abend wird ruhig – das Gewitter wird die ganzen Möchtegerns, Hippies und sonstigen Spinner dieser Stadt fern halten. Wie geht’s unseren Gästen?“ Carl arbeitet schon lange hier. Gern sogar. Die Nächte sind schön ruhig und als „Gäste“ bezeichnet er immer liebevoll die Tiere im Gehege. Er gibt ihnen heimlich Namen, redet auf seiner Streife gern mit ihnen und lobt sie immer als gnädige Zuhörer für ihn und seine Probleme.
„Ich weiß nicht. Irgendwas ist seltsam. Die Tiere sind heute alle unruhig. Das habe ich so bislang nie erlebt.“ Tony schaut Carl besorgt an.
„Naja, das Gewitter naht – oder der Tiger hat nebenan wieder gefurzt.“
Beide lachen.
Scheinwerfer erhellen plötzlich das Büro. Ein silberner Wagen rast heran. Immer schneller werdend. „Will der mich verscheißern?“, doch in dem Moment durchbricht das Auto schon das metallene Tor mit einem lauten Knall. Während eine Torhälfte gegen eine Palme kracht und sich darin verkeilt, schmettert die andere Hälfte des Tores gegen das kleine Wachhäuschen. Die beiden Wachleute tauchen instinktiv unter die Schreibtische. Glas splittert großflächig. Scherben regnen nieder. Teile der Einrichtung fallen von den Wänden und aus den Regalen. Das Licht im Raum flackert verstört – stabilisiert sich aber zügig. Carl, der sich als erster wieder aufgerappelt hat, schreit: „Tony, ruf die Cops – ich verfolge diesen Mistkerl!“
„Achtung, an alle Einheiten. Einbruch im Los Angeles Zoo – flüchtiger Fahrer von Freeway 2. Bereich absperren. Flüchtiger ist auf dem Gelände.“
Arkin fährt langsamer. Der Motorblock qualmt. Das Rammen des Tores ist wohl immer nur in Hollywood-Filmen eine super Idee. „Wo ist es nur, verdammt!“ Die Wege gabeln sich ständig – und werden schmaler und damit unpassierbar mit einem Auto. Er steigt aus. Eilt auf die Beifahrerseite, reißt die Tür auf und sammelt seine umher geflogenen Unterlagen ein. Die Schatulle steckt er in seine Jacke. Eine Taschenlampe taucht hinter ihm auf. „Stehenbleiben, du verdammter Hurensohn!“ – es ist Carl. Doch Arkin sieht in dem Moment die Beschilderung – für das Gehege, welches er sucht. Er zögert nicht – und rennt los. „Stopp, du Scheißkerl!“ Donner kracht über beiden. Das Gewitter ist genau über ihnen. Regen ertränkt die Gehwege. „Tony“, ruft Carl über Funk, „er läuft ins Bärengehege!“
Außer Atem kommt Arkin vor dem Gehege an. „Sie sind da“, ruft er in die Nacht. „Sie sind hier“ und stützt sich entkräftet auf das Geländer vor ihm. Die drei Bären im Gehege schauen ihn an. Ihre Felle sind vom Regen durchnässt. Der Abstand zu diesen Kreaturen ist nicht groß, doch das Gehege ist von einem Wassergraben umgeben. „Hört ihr denn nicht? Ich habe ihn hier.“ Arkin ist außer Atem und fällt auf die Knie. Atmet schwer. Leise spricht er: „Ich dachte, wir hätten mehr Zeit. Wir hätten noch Zeit gebraucht.“
Carl bleibt wenige Meter abseits dieses Schauspiels stehen und muss selbst erstmal durchpusten. Er stützt sich auf seinen Oberschenkeln ab. „Tony, ich hab ihn – wir sind im Bärengehege“ hechelt er ins Funkgerät.
„Verstanden. Die Cops sind schon hier – sind gleich bei dir.“
Arkin dreht sich um – schaut Carl an. „Ihr versteht es nicht. Ihr könnt es nicht verstehen.“
„Hey, es ist alles okay. Bleiben sie einfach, wo sie sind! Niemand tut ihnen etwas“, versucht Carl mit seiner ruhigen Stimme einzuwirken.
„Wir haben versagt. … Sie. … Ich. Die ganze Menschheit. Wir hatten nur diese eine Aufgabe – und haben versagt. Es tut mir leid. Es tut mir so unfassbar leid. Bitte verzeiht mir!“
Tony und zwei Polizisten treffen ein. Doch Carl signalisiert mit einer Hand, dass sie sich noch zurückhalten sollen. „Mister, es ist nur ein Tor. Das ist teuer, aber nicht schlimm. Davon geht die Welt nicht unter.“ Carl glaubt, eine Verbindung aufbauen zu können.
„Seit Generationen seid ihr hier. Versteckt euch. Vor ihnen. Vor uns. Nur wenige wussten es. Ich bin einer von ihnen.“ Arkin schaut die drei Bären im Gehege erneut an, die dem Treiben ein hohes, aber ruhiges Maß an Aufmerksamkeit schenken.
„Spricht der gerade mit den Bären?“, flüstert Tony zu einem der beiden Polizisten.
Der Regen prasselt unaufhörlich nieder. Abermals geben sich Blitz und Donner ein Stelldichein über den Köpfen aller im Bärengehege. Die Mappe mit den Unterlagen wird durchnässt. „Ich habe es“, sagt Arkin. „Ich habe es hier bei mir.“
„Okay, Kumpel, es wird Zeit ... genug Show für einen Abend“, sagt einer der Polizisten. Eine Hand an der Waffe. In der anderen Hand die Handschellen. Vorsichtig geht er auf Arkin zu. Dieser greift unerwartet in seine Tasche und …
„Waffe!!!“, brüllt der andere Polizist, zieht seine Dienstpistole und schießt. Drei Schüsse. Drei Mal trifft Messing auf Fleisch. Arkin bricht schwer verwundet zusammen. Blut vermischt sich unmittelbar mit dem ablaufenden Regenwasser, welches kleine Flüsse in diesem Gehege gebildet hat. Es ist die Holzschatulle, die Arkin aus der Tasche zieht. Die schönen Verzierungen darauf leuchten nun ebenfalls. „Seht! Es ist Zeit.“, spricht er mit schmerzverzerrter Stimme.
Plötzlich beginnen die Tiere in den anderen Gehegen aufzuwachen. Lautstark. Brüllend. Kreischend. Fauchend. Grunzend. Pfeifend. Alle. Carl und die Polizisten schauen sich fragend an. „Was zum Teufel ist hier los?“, fragt Carl. Die Tiere rufen. Sie fordern. Begrüßen. „Seht!“, sagt Arkin entkräftet und öffnet die kleine Holzschatulle und hält sie in Richtung Bären.
„Gesichert. Zentrale, hier Einheit 27, wir brauchen ...“ – etwas reißt den Polizisten während seines Funkspruches herum. Eine Klinge durchtrennt sein Fleisch von seinen Knochen. Und die Kreatur, die diese führt, dreht diese Klinge in ihrem Opfer langsam im Uhrzeigersinn. Die Augen des Polizisten weiten sich. Blut quillt unmittelbar aus seinem Mund. Seiner Nase. Die inneren Verletzungen sind tödlich. Mit zittrigen Händen berührt er das, was als Fremdkörper in ihm steckt – was ihn nur noch auf den Beinen zu halten scheint. Seine Augen weiten sich – füllen sich mit Panik. Er kann nicht schreien. Schaut der Kreatur, seinem Mörder, in die tiefbraunen Augen. „Feiger, ehrloser Affe“, spricht der vor ihm stehende Bär mit tiefer Stimme und zieht seine handbreite Klinge mit zwei kurzen, präzisen Bewegungen aus seinem Opfer, wodurch dieser in zwei Hälften zu Boden fällt.
In Panik zieht der zweite Polizist seine Pistole. Doch er benötigt die zweite Hand für den Verschluss. Etwas greift aus der Dunkelheit nach seinem Handgelenk und reißt ihn samt eigenem Körper nach oben. Ein Schuss löst sich, doch das Projektil fliegt dadurch gen Nachthimmel. Der Polizist schreit: „Ahhhrg, helft mir!“ Ein Brüllen. Gewalttätig. Gefolgt vom zerberstenden Geräusch von Knochen und abreißenden Sehnen, die von ihrem Fleisch getrennt werden: Ein weiterer Bär reißt den kompletten Arm von seinem Träger ab und wirft diesen in den Wassergraben. Blut spritzt unkontrolliert heraus. Schreie vor Schmerz übertönen alles. Der Bär brüllt lautstark zurück und holt zum Hieb aus. Seine Tatze trifft mit voller Wucht. Es trennt den Kopf vom Hals und dieser fliegt wenige Meter durch die Luft, um mehrmals stumpf aufzuschlagen, bevor er liegen bleibt. Der restliche Körper des Polizisten sackt vor dem Bären leblos zusammen.
„Carl“, schreit Tony, „wir müssen hier weg!!!“ Tony rennt panisch in die Nacht. Doch Carl steht wie versteinert und schaut auf die ihm seit Jahren so vertrauten Kreaturen. Diese Kreaturen – sie sind so anders. Sie stehen breitbeinig aufrecht. Die Silhouette der Körper ist eine ganz andere. Muskulöser. Präsenter. Deutlich aggressiver. Das sind nicht mehr die ihm vertrauten Bären.
„Carl!“, brüllt Tony aus einiger Distanz und holt damit seinen Kollegen zurück in die Gegenwart, der nun selbst flieht. „Er hat gesprochen!“, ruft Carl Tony zu, „bin ich denn jetzt total bescheuert?“ Beide verschwinden in die Dunkelheit.
Der Lärm im Gehege legt sich. Der Regen setzt sich wieder hörbar durch. Es ist still.
Mit einem wuchtigen Sprung hebt etwas aus dem Gehege der Bären ab – und landet mit eben dieser Wucht fühlbar wenige Meter neben Arkin, welcher immer noch die Schatulle fest mit einer Hand umklammert. Dieser Bär ist stärker. Größer. Majestätischer. Besonnener. Er schaut seine Gefährten an und nickt ihnen anerkennend für ihre Kampfesleistung zu. Dann wendet er sich an den einzig verbliebenen Menschen.
Behutsam legt er seine Tatze stützend unter Arkins Kopf. Sein mächtiger Körper bildet einen Regenschutz für den unter ihm liegenden Menschen, dessen Augen sich beim Anblick dieser mächtigen Kreatur mit Tränen füllen. Es fällt Arkin schwer zu atmen. Mit letzter Kraft sagt er „Rettet diese Welt – rettet … euch!“ Die Holzschatulle befreit sich aus der nun kraftlos gewordenen Umklammerung ihres Beschützers. Fällt zu Boden. Durch den harten Aufschlag fällt ihr Inhalt heraus, welcher grün leuchtend im Regenwasser liegen bleibt.
Der mächtige Bär schaut einen kurzen Moment auf diesen kleinen Gegenstand, doch wendet seinen Blick wieder zu Arkin. „Danke, mein alter Freund. Ihr könnt jetzt loslassen. Findet Frieden zwischen den Sternen.“
„Wir müssen gehen, mein König!“, drängt einer der beiden anderen Bären auf seinen Anführer, mit Hinweis auf sich nähernde Polizeisirenen. Dieser nickt besonnen. Er beugt sich herunter und hebt den kleinen Gegenstand auf. Mit einer Faust umschließt er ihn. Seine Augen schließen sich. Er atmet tief ein. Langsam wieder aus.
„So beginnt es also.“ Lautlos verschwinden die Bären in die Dunkelheit.
„Einheit 27, bitte wiederholen!“, krächzt das Funkgerät. Rauschen. „Einheit 27, kommen!“
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